Hinter der Steckdose. Am anderen Ende der Stromleitung.
Blickt man das erste mal in einen Braunkohlentagebau, so sind neben dessen immenser Weite insbesondere die riesigen Bergbaugeräte ungemein beeindruckend. Deren Dimensionen erscheinen schier unfassbar, insbesondere da es bewegliche selbstfahrende Maschinen sind. Nicht nur das; diese riesigen Geräte sind mittels Transportbänder und Gleisanlagen miteinander zu einer zusammenhängenden Gesamtmaschinerie verknüpft. Eigenartig befremdet oder eingeschüchtert und gefühlsmäßig auf Zwergengröße verschrumpft steht man dieser Megamaschine gegenüber, wie einer überlegenen, undurchschaubaren Macht. So glotzt man also aus reichlicher Distanz hinüber. Denn näher kommen kann man diesem Phänomen ja nicht. Aber eben dies wollte ich, diese Maschinen aus der Nähe und von Innen heraus erleben. Und es sollte tatsächlich möglich werden.
Eines Morgens im Februar 1994 werde ich erwartet. Der Pförtner am Haupteingang ist über meinen Besuch informiert und der Steiger mit neuem Geländewagen samt Fahrer steht bereit, mir den Tagebau Zwenkau zu zeigen. Irgendwann kommen wir an dem äußersten Ende der Abraumförderbrücke an. Hier schildert mir mein Begleiter den Tagebau „um es einmal für den Laien zu sagen, als ein großes Loch in der Landschaft, das wandert.“
Wer einmal in diese Welt hinter dem entgegengesetzten Ende der Stromleitung eintauchen konnte, hat zumindest eine Vorstellung von dem betriebenen Aufwand, damit in jeder Steckdose an jedem Ort zu jeder Zeit unbegrenzt Strom da ist.
Am 30. September 1999 verließ der letzte Kohlezug den Tagebau Zwenkau. Bis dahin war seit 1924 kontinuierlich Kohle gefördert worden, wobei dieses Loch, das anfangs noch Tagebau Böhlen genannt wurde, annähernd zehn Kilometer durch die Landschaft gewandert war. Etwa 28 Quadratkilometer Land wurden während dieser 75 Jahre quasi einmal umgedreht. Mehr als 5.600 Menschen wurden dafür aus ihren Dörfern umgesiedelt.